Stuttgart Erlesen

Von der App zum Buch

Wenn alles perfekt läuft, können Smartphones die virtuelle und die reale Welt auf bisher nicht gekannte Weise verknüpfen. Wie das auch und gerade für eine so analoge Branche wie den Buchmarkt funktionieren kann, daran tüfteln Valentin Pfister, Erik Schöfer und Moritz Jähde. Sie studieren Produkt- und Grafikdesign an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, betreiben neben dem Studium eine Agentur für Gestaltung – und haben sich mit ihrer Idee ortsbasierter Buchempfehlungen beim MFG-Ideenwettbewerb BW Goes Mobile in der Kategorie „Bücherwelt mobil“ durchgesetzt.

Jähde und seine Mitstreiter hatten ursprünglich vor, eine App zu entwickeln, die den Nutzern personalisierte Buchempfehlungen aufs Handy schickt, sobald sie an einer Buchhandlung vorbeikommen. „Jeder sagt, er würde gern mehr lesen, aber viele wissen nicht, was sie lesen sollen“, beschreibt der 25-Jährige ein Problem von Buchläden. Eine weitere Entwicklung in der Branche: „Die kleinen Buchläden verschwinden von den Einkaufsstraßen. Es gehört in vielen Städten nicht mehr zum normalen Shoppingerlebnis, Bücher zu kaufen.“

Genau an diesen Punkt knüpft die App der drei Karlsruher Entwickler an: Sie soll „das Prinzip Stöbern und Entdecken auf das digitale Nutzererlebnis übertragen“, so Jähde. Allerdings, das mussten die drei jungen Entwickler lernen, weist die Buchbranche einige Besonderheiten auf. Da hat ihnen ihre Mentorin geholfen, Doreen Klotz , die beim Stuttgarter Buchhaus Wittwer für Onlinemarketing und Social Media zuständig ist. „Hier haben wir wertvolle Einblicke erhalten, wie die Waren- und Datenströme im Buchhandelsalltag ablaufen und konnten so unseren Ansatz von Beginn an immer wieder mit dem konkreten Anwendungsfall abgleichen“, beschreibt Moritz Jähde den Vorteil der Kooperation.

Projektname „Stuttgart erlesen“

Nach und nach wurde das Konzept verfeinert. Da das Ganze erst einmal im lokalen Kontext getestet werden sollte, entstand der Arbeitstitel „Stuttgart erlesen“. Im Fokus soll nun nicht die bloße Buchempfehlung stehen, sondern der Versuch, Bücher mit Orten in der Stadt zu verknüpfen und so mehr Menschen mit Büchern in Kontakt zu bringen. „Die Buchhandlung wird sozusagen auf das Stadtgebiet ausgedehnt“, so Jähde.

Das soll ortsbasiert geschehen oder thematisch passend. Wer also beispielsweise am Stuttgarter Schlossplatz vorbeikommt, dem könnte die App das Buch „Stuttgart Album“ empfehlen, in dem es viele historische Bilder vom Schlossplatz zu sehen gibt – oder aber den Lokalkrimi „Tatort Hölderlinplatz“, wenn der Nutzer sich gerade an dieser Stuttgarter Stadtbahnhaltestelle aufhält. Durch diese Wechselwirkung zwischen Ort und Buch sollen Kaufanreize entstehen – online oder mit einem Verweis auf den nächstliegenden Buchladen. Der Nutzer erhält aber keine bloße Werbezeige, sondern eine Leseprobe. Zum Beispiel an Haltestellen sollen so Leser gewonnen werden.

Technisch haben die drei Entwickler einen einfachen, aber funktionalen Ansatz gewählt: die Buchempfehlungen sollen über Bluetooth-Sender, in der Fachsprache „Beacon“ genannt, verschickt werden. Damit kann die App faktisch überall und vor allem zielgerichtet eingesetzt werden: über die ganze Stadt verteilt oder aber bei den Buchwochen. „So eine Aktion ist viel wirkungsvoller als etwa eine Zeitungsannonce“, ist Jähde überzeugt.

Dieser neue Ansatz verändert auch das Geschäftsmodell, das aus dieser Idee erwachsen könnte: Die Entwickler wollen nicht selbst versuchen, die kritische Masse an Nutzern zu erreichen. Sie vertreiben die App vielmehr als Whitelabel, also als neutral gestaltetes Angebot, das sich etwa im Layout an die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden anpassen lässt. Der müsste die App dann auch entsprechend bei potenziellen Endkunden bekannt machen.

Präsentation vor Fachpublikum

Die Projektergebnisse der sechsmonatigen Umsetzungsphase werden die drei Karlsruher Entwickler bei der Abschlusspräsentation zu BW Goes Mobile im Juli beim Innovationskongress Change Media Tasting vor einem Fachpublikum präsentieren. Der Pitch ist Teil des Wettbewerbs, er dient der Erfolgskontrolle ebenso wie zur Motivation der Gewinnerteams. Die Grundidee sei immer noch dieselbe, unterstreicht Moritz Jähde: „Die App soll ein digital affines Publikum mehr mit Literatur in Verbindung bringen.“ Man werde eine funktionierende App präsentieren.

Dass die App auch tatsächlich zum Einsatz kommt – gut möglich. Die drei Entwickler haben nicht die Erwartung, dass die App „das nächste Airbnb wird“, sie also eine die Branche von Grund auf verändernde Killer-Applikation entwickelt haben. Die Hinweise der Mentorin zu den Besonderheiten des Buchhandels und, nach einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung“, aus der gesamten Buchbranche, machen aber optimistisch. Die Zukunft der Buchbranche ist digital – mit der neuen App noch ein bisschen mehr.